Die Gefährdungsbeurteilung aus Sicht der Rechtsprechung
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Die Gefährdungsbeurteilung aus Sicht der Rechtsprechung

Die Gefährdungsbeurteilung

Die Gefährdungsbeurteilung dient dem Zweck, die Gefahren eines Arbeitsplatzes zu ermitteln, die Wahrscheinlichkeit eines Schadenfalles einzuschätzen und die erforderlichen Abwendungsmaßnahmen zu erkennen und umzusetzen. Auf diese Weise wird die Gefahr für die Mitarbeiter auf ein vertretbares Restrisiko beschränkt. Dies gilt auch für Arbeitsmittel wie Werkzeuge, Geräte, Maschinen oder Anlagen.

Der Gesetzgeber macht die Gefährdungsbeurteilung für den Arbeitgeber zur Pflicht (§ 5 Arbeitsschutzgesetzt und § 3 Betriebssicherheitsverordnung). Damit sind auf diesem Weg die Mitarbeiter in Berufsfeuerwehren zu schützen. Für die freiwilligen Feuerwehren greift § 3 der Grundsätze der Prävention (GUV‐V A 1), der ebenfalls die Gefährdungsbeurteilung einfordert. 

Ein Unfall während des Feuerwehrdienstes kann darauf beruhen, weil keine sicheren Einrichtungen zur Verfügung standen (Feuerwehrhaus, Geräte, Ausrüstungen), regelmäßige Prüfungen und Instandhaltungen unterblieben, die Feuerwehrangehörigen nicht unterwiesen bzw. nicht ausreichend kontrolliert wurden. Dann stellt sich die Frage, ob der Unfall mit der Gefährdungsbeurteilung zusammenhängt. Wenn ja, wird weiter zu fragen sein, wer für die Gefährdungsbeurteilung verantwortlich ist.

Die Zuständigkeit für einen Fehler 

Ein Vorgesetzter kann für einen Unfall nur dann verantwortlich sein, wenn ihm ein fehlerhaftes Verhalten, das für den Unfall ursächlich ist, zur Last liegt.

Ein fehlerhaftes Verhalten besteht, wenn ein vorhersehbares Unglück eintritt, vermeidbar war und nicht vermieden wurde. Denn dann lautet der Vorwurf, die Feuerwehrverantwortlichen hätten das Unglück erkennen und vermeiden können. Das Mittel, mit dem das Vorhersehbare erfasst werden muss, ist die Gefährdungsbeurteilung.

Damit schließt sich der Kreis bei der Suche nach dem Schuldigen. Hätten sich nämlich vor dem Unglück die Verantwortlichen hingesetzt und die erkennbaren Gefahren erfasst, bewertet und erforderliche Maßnahmen zum Schutz der Feuerwehrangehörigen veranlasst, dann wäre das Unglück vermieden worden. Kommt hingegen ein Gericht zu dem Ergebnis, dass ein Unglück nicht vorhersehbar war, dann kann auch kein Verantwortlicher einen Fehler gemacht haben. 

Ausgangspunkt ist damit die Zuständigkeit für die Gefährdungsbeurteilung. Der Leiter der Feuerwehr muss festlegen, wer für welche Bereiche und Geräte die Gefährdungsbeurteilung zu machen hat. Diese Festlegung ist eine Organisationsaufgabe und – bezogen auf die verantwortliche Person ‐ eine Auswahlverpflichtung. Wer die zuständige Führungsebene nicht festlegt, begeht einen Organisationsfehler; wer eine Führungskraft auswählt, die einer solchen Aufgabe nicht gewachsen ist, begeht ein Auswahlverschulden.

Fehlerquellen

Die Feuerwehrangehörigen müssen vor der Übung und vor dem Einsatz auf mögliche Gefahren durch Unterweisung hingewiesen werden. Dies setzt voraus, dass vorher die Gefährdungsbeurteilung erstellt und die Unterweisung festgelegt wurde. Ereignet sich ein Unglück, das für Vorgesetzte im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung vorhersehbar und beherrschbar gewesen wäre, aber nicht bewältigt wurde, löst dies für die betroffenen Vorgesetzten den Fehlervorwurf aus - Beispiel:

  • Eine Gebäudeausfahrt ist zu eng für die Fahrzeuge. Ein Feuerwehrangehöriger wird beim Bewegen der Fahrzeuge eingequetscht.
  • Eine Betriebsanleitung des Herstellers eines Gerätes wird nicht in der Gefährdungsbeurteilung umgesetzt, weshalb die Feuerwehrangehörigen nicht ausreichend unterwiesen werden.
  • Ein Risiko wird erkannt, eine technische Abhilfe für erforderlich gehalten, dann aber doch nicht abgestellt.

Damit ergeben sich aus der Gefährdungsbeurteilung für die Vorgesetzten folgende Fehlerquellen:

  • Nichterfassen einer vorhersehbaren Gefahr
  • Fehlerhafte Einordnung einer erkannten Gefahr
  • Unzureichende Maßnahme zur Gefahrabwendung 
  • Fehlende oder schlechte Unterweisung 
  • Fehlende Wirksamkeitskontrolle hinsichtlich der getroffenen Maßnahmen

Vorsatz – Fahrlässigkeit

Ein Vorgesetzter kann nur dann in die rechtliche Verantwortung geraten, wenn er seinen persönlichen und ursächlichen Fehler vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat. Vorsatz dürfte im Feuerwehrdienst nicht vorkommen. Denn dann müsste der Vorgesetzte wissen und wollen, dass ein Unglück geschehen wird. Das Wollen wird im Regelfall nicht vorliegen.

Damit bleibt der mögliche Fahrlässigkeitsvorwurf. Kennt der Vorgesetzte den Missstand und denkt er sich, es wird schon gut gehen, dann liegt ein Fall der bewussten Fahrlässigkeit vor. Allerdings muss es einen vernünftigen Grund dafür geben, dass schon nichts passieren wird. Andernfalls käme doch Vorsatz in Betracht. Vorgesetzte sollten sich, wenn sie sich zum Pfuschen entschieden haben, immer fragen, weshalb es gut gehen wird. Fällt ihnen keine nachvollziehbare Begründung ein (etwa nur: wir haben Glück), dann wird es gefährlich.

Kennt der Vorgesetzte hingegen eine vorhersehbare Gefahr nicht, müsste sie aber als Feuerwehrangehöriger kennen, dann liegt ein Fall der unbewussten Fahrlässigkeit vor. Meist hängen diese Fälle mit unzureichender Kontrolle der Feuerwehrangehörigen zusammen. Denkbar ist aber auch, dass andere Feuerwehren die Gefahr in ihrer Gefährdungsbeurteilung erkannt haben (damit ist die Vorhersehbarkeit klar), jedoch der zuständige Vorgesetzte bei der „Unfall‐Feuerwehr“ die Gefahr nicht erkannte. Eine Fahrlässigkeitstat kann jedem Bürger unterlaufen (ein Autofahrer fährt einen Radfahrer aus Unachtsamkeit an). Der Gesetzgeber sieht deshalb für Tötungs‐ und Körperverletzungsdelikte nur einen geringeren Strafrahmen als bei Vorsatztaten vor. In Betracht kommen die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe bis höchstens 5 Jahre.

Hinweis
Der vorstehende Text zu der Gefährdungsbeurteilung aus Sicht der Rechtsprechung ist im Rahmen der „SiGe - Fachveranstaltung" „Gefährdungsbeurteilung in der Feuerwehr und den Hilfeleistungsorganisationen“ am 4./5. Dezember 2012 im Tagungszentrum der DGUV in Dresden veröffentlicht worden. Autor der Veröffentlichung: Dr. Klaus Gregor, - Vorsitzender Richter a. D. am Landgericht Würzburg.

Stand: 05/2020
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