Eine Dynamisierung des betrieblichen Schutzes ergibt sich aus der Anpassungspflicht des § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ArbSchG, die den Arbeitgeber – auch ohne Erlaß einer behördlichen Einzelfallanordnung - zu Optimierungsmaßnahmen verpflichtet.
Rechtlich gesteuert wird die kontinuierliche Verbesserung vor allem durch § 4 Nr. 3 ArbSchG, wonach der Arbeitgeber bei den Maßnahmen den „Stand der Technik“, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen“ hat.
Aufgrund der Dynamik der in § 4 Nr. 3 ArbSchG genannten Erkenntnisse erfährt der Bestandsschutz im Arbeitsschutzrecht eine Relativierung. Große Bedeutung hat dabei der „Faktor Zeit“, der insbesondere durch die Planungspflicht betrieblich zu operationalisieren ist.
Einen hohen Stellenwert für die in § 3 Abs. 1 ArbSchG angelegte systematische und auf kontinuierliche Verbesserung zielende Verfahrensweise hat der Gedanke der Transparenz. Für das Transparenzgebot steht insbesondere die Dokumentationspflicht des § 6 ArbSchG, die die Führung von Unterlagen über alle in § 3 Abs. 1 ArbSchG normierten Verfahrensschritte verlangt (Dr. Ulrich Faber - Die arbeitsschutzrechtlichen Grundpflichten des § 3 ArbSchG, Organisations- und Verfahrenspflichten, materiellrechtliche Maßstäbe und die rechtlichen Instrumente ihrer Durchsetzung, Dissertation 2002, Kapitel 3, S. 196).
Da das Bestandsschutzinteresse mit zunehmender Nutzungsdauer kontinuierlich abnimmt, sinkt insoweit auch die Schwelle, von der ab Anpassungsmaßnahmen zumutbar sind. Dies kann z. B. zur Folge haben, daß Investitionsmaßnahmen vorzuziehen sind, wenn hierdurch bedeutsame Verbesserungen zu erzielen sind. Umgekehrt spricht eine relativ kurze Nutzungsdauer dagegen, z. B. eine teure Anlage komplett zu ersetzen (…).
Die Kosten für eine solche Investition in die betriebliche Sicherheit und Gesundheit können in einem solchen Fall auf einen längeren Zeitraum umgelegt werden und sind daher leichter verkraftbar (Jarass, BImSchG, § 17, Rdnr. 35). Die Pflicht zur Berücksichtigung des Standes der Technik ist, (…) nicht statisch in dem Sinne zu verstehen, daß womöglich täglich die neueste Sicherheitstechnik zu implementieren wäre (Sendler, UPR 1983, 73ff. (73). Sie ist damit zu einem guten Teil auch betriebswirtschaftlich planbar, etwa indem vorsorglich Rückstellungen vorgenommen werden (Hierzu Jankowski, Bestandsschutz für Industrieanlagen, S. 61 ff, mit ausführlichem Blick auf die betriebswirtschaftliche Planungslehre, Sendler, UPR 1983, 73 ff (73).
Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, entsprechende Maßnahmen und die damit verbundenen Aufwendungen in das betriebswirtschaftliche Kalkül aufzunehmen. Fehlt es an entsprechenden Mitteln, weil keine entsprechende und zumutbare Vorsorge getroffen wurde, muss die zu Lasten des Arbeitgebers bzw. des Betreibers gehen, da der Anpassungsvorbehalt zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der unternehmerischen Tätigkeit zählt (In diesem Sinne auch BVerwG, ZUR 1997, 158 ff. (161); Jankowski, Bestandsschutz für Industrieanlagen, S. 63).
Hierzu zählt es insbesondere, sich wie jeder andere Unternehmer auch auf vorhersehbare Belastungen einzustellen. Es zeigt sich im Übrigen gerade an diesem Punkt besonders deutlich, daß § 3 Abs. 2 Nr. 2 ArbSchG, der die Integration des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bei allen Tätigkeiten verlangt, mehr als ein bloßer Programmsatz ist.
Insgesamt kann festgehalten werden, daß die rechtliche Bewertung des Bestandsschutzinteresses stark durch betriebswirtschaftliche Erwägungen geprägt ist. Das bedeutet allerdings nicht, daß die Entscheidung über Anpassungsmaßnahmen eine rein oder auch nur überwiegend ökonomische Entscheidung ist. Das rechtlich schützenswerte Vertrauen in den Bestand von Investitionen ist nur einer unter ganzen Reihe von Kriterien, das in die umfassende Interessenabwägung einzugehen hat. Für das Arbeitsschutzrecht ist dies ausdrücklich in den Erwägungsgründen der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie 89/391/EWG hervorgehoben, in denen es heißt, daß die Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes Zielstellungen darstellen, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen (Vgl. dazu eingehend Bücker, Von der Gefahrenabwehr zur Risikovorsorge, S. 230 ff.).
Auch wenn der konkrete zeitliche Rahmen von Anpassungsmaßnahmen letztlich eine Frage der konkreten Umstände des Einzelfalls ist, lassen sich doch aus dem Arbeitsschutzrecht Anhaltspunkte gewinnen, die zumindest eine grobe Orientierung ermöglichen. Aufmerksam zu machen ist insoweit auf die nach §§ 18, 19 ArbSchG erlassenen bzw. geänderten Rechtsverordnungen zum ArbSchG (…), namentlich die BildscharbV und die Arbeitsmittelbenutzungsverordnung (AMBV) (Hinweis: Diese beiden Verordnungen sind in andere Verordnungen übergegangen). In den genannten Vorschriften finden sich jeweils Regelungen über die Anpassung alter Arbeitsmittel bzw. Bildschirmgeräte an die durch die Rechtsverordnung neu geschaffene Rechtslage. Als Anpassungsfristen werden dort Zeiträume zwischen 15 Monaten (§ 4 Abs. 2 und 3 AMBV) und 3 Jahre (§ 4 Abs. 1 BildscharbV) genannt. Als Rechtsverordnungen und damit als abstrakt-generelle Rechtssätze typisieren die genannten Bestimmungen zwar zweifellos und stellen auf einen durchschnittlichen Fall ab. Andererseits vermitteln sie aber eine gewisse „durchschnittliche“ Orientierung über die Zeitspanne, in denen Anpassungsmaßnahmen verlangt werden können (Dr. Ulrich Faber - Die arbeitsschutzrechtlichen Grundpflichten des § 3 ArbSchG, Organisations- und Verfahrenspflichten, materiellrechtliche Maßstäbe und die rechtlichen Instrumente ihrer Durchsetzung, Kapitel 3; Dissertation 2002,).
Auf die aktuelle Drucksache des Deutschen Bundestags, Drucksache 19/12963 vom 02.09.2019 wird hingewiesen.